den sächsischen Fürsten anzusetzenden Schiedstag definitiv geregelt würde. Nach Annahme dieses Vorschlags wurde der Landtag geschlossen.
Die Masse der Landstände ging jedoch nicht nach Hause, sondern setzte die Empörung fort. Am 29. Juli beschworen sie eine „Einung". Die Urkunde darüber ist besiegelt vom Marburger Deutschordenskomtur und vom Abt von Breitenau für die Prälaten, von den Grafen von Waldeck und Sayn-Wittgenstein und von neun Rittern für den Adel und von Kassel, Marburg, Homberg, Eschwege, Treysa und Wetter für die Städte. In ihr verpflichteten sich die Landstände, einander gegen Verletzungen ihrer Rechte beizustehen und sich jederzeit auch ohne landgräfliche Ladung wieder am Spies zu versammeln. Der Landtag am Spies sollte also eine Verfassungsinstitution werden. Schon am 1. Oktober 1509 versammelten sie sich wieder am Spies. Ungefähr 400 Mann erschienen. Nach zwei Tagen zog man wegen der Kälte für den letzten Tag nach Homberg um. Man beschloss die Einsetzung einer rein landständischen Regentschaft mit Ludwig von Boyneburg an der Spitze. Als die sächsischen Räte die Rücknahme dieses Beschlusses verlangten, weil sie gegen die Vereinbarung vom Juli verstoße, erklärten die Sprecher der Landstände, sie müssten um ihr Leben fürchten, wenn sie das täten. Man würde sie erstechen oder ihnen die Hälse abschneiden. Der emotionsgeladene Widerstand gegen eine weibliche Regierung schien unüberwindbar. Dennoch regierten die landständischen Regenten das Land keine fünf Jahre. Bis 1514 hatten sie sich so zerstritten und isoliert, dass Anna sie ausmanövrieren und die Regentschaft wieder übernehmen konnte bis zur vorzeitigen Mündigkeitserklärung ihres Sohnes 1518. Die landständische Einung von 1509 und der wiederkehrende Landtag am Spies als Verfassungsorgan verschwanden von der politischen Agenda. Sie entfalteten keine Präzedenzwirkung und fanden keinen Platz in der offiziellen Erinnerungskultur. Es gab später noch drei Landtage am Spies: am 12. Oktober 1531 wurden die Städte dort versammelt, am B. Januar 1542 die Ritter, die aber wegen der Kälte umgehend nach Melsungen umzogen, und
am 13. Juli 1547 die Ritter und Städte, um die Kapitulation nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg zu beschwören. Noch einmal war 1583 von einem Landtag am Spies die Rede. Als Ritter sich über die Neuerung beschwerten, dass sie von jedem Geschlecht nur einen zum Landtag nach Marburg entsenden sollten, drohte Landgraf Wilhelm IV., sie demnächst alle nach altem Herkommen an den Spies zu laden, „in was Zeit und Gewitter es seye." Wenn der Landtag am Spies hier als altes Herkommen bezeichnet wurde, so stimmte das ebenso wenig wie die meisten Berufungen auf uralte Traditionen. Man hat oft nur den historischen Ursprung vergessen.
Die Landtage am Spies waren eine relativ kurze historische Episode. Einige Landtage unter freiem Himmel fanden in Hessen-Kassel noch im Zeitalter des dreißigjährigen Krieges statt. Im 17. Jahrhundert wurde der Spieß durch das Mader Holz bei dem alten chattischen Ort Mattium ersetzt. Hier, auf einer Freifläche vor dem Mader Holz - wohl auch auf einer alten Gerichtsstätte - versammelte am 28. Februar 1621 Landgraf Moritz seine Landstände vor dem Mader Holz zwischen Gudensberg und Böddiger, weil er zum Krieg rüsten wollte. Doch die Landstände widerstanden dem Druck. Der Landtag wurde im engeren Kreis in der Karthause fortgesetzt und Moritz gab nach zwei Tagen nach. Am 27. Juni 1623 versammelte Moritz sie am „Monschein bei Harleshausen". Damit dürfte nicht die heute Monschein genannte Höhe bei Ippinghausen gemeint sein, sondern der von einer Heidefläche umgebene Hof Mondschirm zwischen Harleshausen und Heckershausen. Wieder verlangte Moritz eilige Kriegsrüstungen und wieder ließen die Landstände sich nicht erpressen, sondern erreichten in zweiwöchigen Ausschussverhandlungen in Kassel einen Kompromiss. Im März 1628 wollte Wilhelm V. den gesamthessischen Landtag nach dem Frieden mit Hessen-Darmstadt im Freien halten, doch Georg III. zog eine Tagung in der Stadt Kassel vor. Am 9. und 10. Juni 1631 versammelte Wilhelm V. seine Landstände am Mader Holz, weil er den Krieg wieder aufnehmen wollte. Die Landstände aber verlangten Verhandlungen mit Tilly, und der Landtag endete ohne Einigung.
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