Aus dem Vereinsleben Zum 175. Jubiläum des VHG
Die Gründung des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde in Kassel 1834
Durch das Erlebnis der gesellschaftlichen Verwerfungen und nach den politisch-territorialen Umbrüchen im frühen 19. Jahrhundert als Folge der Revolutions- und Reformzeit gründete Freiherr vom Stein in Frankfurt am Main 1819 die Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde' mit dem Ziel, historische Quellen und Realien aus der Geschichte Deutschlands zu sammeln und wissenschaftlich zu erschließen. Er hatte die Erwartung, die Deutschen könnten sich nach der erfolgreichen Erhebung gegen Napoleon 1813/15 durch den Rückblick vornehmlich auf die mittelalterliche Geschichte Deutschlands als Nation neu definieren, und über das Vorbild der historischen Entwicklung ließe sich ein Bewusstsein für die Zugehörigkeit zur deutschen Nation stiften. Der Verweis auf die in schriftlichen Quellen in den Archiven liegende, in Bauten der Dome und Burgen und anderen materiellen Überresten wahrnehmbare Geschichte sollte zum Fundament für den erhofften nationalen Zusammenschluss werden. In der Folge entstanden durchaus unter Verweis auf die Steinsche Gründung in mehreren Städten, aber für die einzelnen Staaten des Deutschen Bundes historische Vereine und Gesellschaften, so in Greifswald, Ellwangen, Lübeck und Wiesbaden. Sie waren überwiegend bewusst auf die einzelstaatliche Situation bezogen wie in Bayern, wo solche Vereine in den dreißiger Jahren für die alt- und neubayerischen Kreise von oben her, durch königliche Empfehlung und behördliche Förderung entstanden, um die heterogenen Teile des Königreichs zu integrieren.
Der Überlieferung nach auf einem Spaziergang bei Zierenberg, vielleicht angesichts der Burgruinen als verfallende Zeugnisse erhebender Historie, entschlossen sich die Bibliothekare der Kasseler Landesbibliothek Heinrich Schubart und Karl Bernhardi mit dem Archivar Georg Landau, letzterer bereits durch histori
sche Arbeiten bekannt, nach dem Vorbild vom Steins einen solchen Verein für den Kurstaat zu gründen. Ihr Aufruf vom 16. August 1834, nun auch unterzeichnet von Archivdirektor Christoph von Rommel, stieß in Kurhessen auf Resonanz. Bis Mitte November waren bereits die Eintritte so zahlreich, dass man für den 29. Dezember 1834 eine Gründungsveranstaltung in Kassel ansetzen konnte. Übersieht man die im ersten Band der ZHG wiedergegebene Mitgliederliste für die Jahre 1834 und 1835 wird deutlich, in welchem Ausmaß vor allem die lokale Honoratiorenschicht in den kurhessischen kleineren und größeren Städten, also eine bürgerliche Oberschicht aus Akademikern, Lehrpersonal, Juristen, Beamten und Pfarrern zur „Gründergeneration" des Vereins zählten. In den größeren und Residenzstädten Bayerns, Württembergs und anderer Staaten waren es vornehmlich Mitglieder aus dem höfischen Umfeld, mit Adel, der höheren Beamtenschaft und Vertreter der hohen Geistlichkeit sowie Juristen, die sich in den von oben geförderten historischen Vereinen zusammenfanden.
Die Aufgaben des neu zu gründenden Vereins sah Bernhardi 1834 in der Sicherung der schriftlichen Überlieferung und in der Erhal tung von Realien der hessischen Geschichte. Zugleich unterstrich er in seiner im ersten Band der ZHG programmatisch abgedruckten Einführung und Vorstellung des Vereins, dass dieser neben der sorgfältigen Bemühung um Sicherung und Bewahrung der Zeugnisse der Vergangenheit sein Interesse und Betätigungsfeld breit anlegen solle. Es ging ihm nicht allein um die politisch historischen Abläufe als geschichtsformende Kräfte, sondern auch um sozial- und wirtschaftshistorische Zusammenhänge. Dies schloß für ihn die naturräumlichen Gegebenheiten des Landes, die Entwicklung von Lebensformen, der Sprache, des Bildungsstandes, die Religion und Kirchenverfassung