Dokumentation zum Tag der Hessischen Landesgeschichte am 19. September 2009 in Kassel
175 Jahre 1834−2009 Verein für hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e.V
Oktober 1830 Wilhelm Grimm, „gesteht nur erst dann etwas zu, wenn er bedrängt wird, gibt nichts mit gutem Willen und hat sichtlich die Neigung, sobald es nur möglich ist, das Ruder ganz umzudrehen.“ Weder Wilhelm II. noch sein Mitregent und Nachfolger Friedrich Wilhelm mochten sich als ‚Hüter der Verfassung‘ sehen: in der Rolle einer moderierenden, die Interessen ausbalancierenden Kraft. Im Blick auf Auslegung und Handhabung blieb die Verfassung ein Zankapfel. Aus einem sorgsam gefügten System der Gewichte und Gegengewichte wurde binnen kurzem ein System wechselseitiger Blockaden, aus dem Verfassungsstaat ein Staat des permanenten Verfassungskonflikts.
Die Verhandlungen der Ständeversammlung waren in der Regel öffentlich und stießen anfangs auf regen Zuspruch des Publikums. Charakteristisch für die damaligen Verhältnisse war, dass weder Parteien und Fraktionen noch fest organisierte Fronten existierten. Aus konkurrierenden Positionen und Perspektiven erwuchs jedoch ein gewisses Maß an Lagerbildung. Neben der gouvernementalen gab es eine teils gemäßigt, teils entschieden liberale Richtung. Im Bewusstsein der Zeit verkörperte jene Tendenzen der Beharrung und des legitimistischen Widerstands, diese den Willen zu Fortschritt, Wandel und Modernität. Damit sind die Pole bezeichnet, zwischen denen sich die Beratungen der Kammer bewegten. Dort ging man unverzüglich an die Arbeit, um Regelungen zu treffen, die von der Verfassung aufgeben waren. Dazu gehörte das Gesetz über die Bürgergarden, das für die ländliche Bevölkerung bedeutsame Ablösungs- und damit zusammenhängend das Landeskreditkassengesetz, die Städte- und Gemeindeordnung sowie das Israelitengesetz, das trotz seiner Defizite die Rechtsstellung der Juden verbesserte und deren Emanzipation voranbrachte. Ein ebenso nötiges Pressegesetz indessen scheiterte.
Während der legislatorische Prozess zunächst von den Erwartungen und Stimmungen des Aufbruchs profitierte, begann sich 1832 das Blatt zu wenden. Eine zentrale Rolle spielte dabei der an die Spitze des Innen- und Justizressorts berufene Ludwig Hassenpflug: ein robuster Konservativer und Konfliktminister par Exzellenz. Als am 22. November 1836 das Ständehaus geweiht wurde, sah sich die liberale Kammermehrheit bereits in die Defensive gedrängt. Das öffentliche Interesse war spürbar abgeflaut, und der eigens errichtete Parlamentsbau beherbergte einen Parlamentarismus, der nur noch ein Schatten seiner selbst war: durch fortwährende Querelen ausgezehrt, von der Regierung gebremst und autoritär gezähmt. Deutlicher als zuvor machte sich das Kompetenzgefälle zwischen fürstlichem Souverän und Landtag bemerkbar. Dessen reformerische Energien hatten sich erschöpft, und die kommenden Jahre sollten zeigen, dass das seiner vitalen Impulse beraubte, zum Formelkompromiss geronnene konstitutionelle System nicht minder krisenanfällig war als das vorkonstitutionelle.
III.
Mitten in dieser Phase einer konservativen Kehre wurde Ende Juni 1834 der Grundstein für den Bau des Ständehauses gelegt. Kurz darauf erfolgte auf jener bereits erwähnten Wanderung nach Zierenberg der Entschluss, einen Geschichtsverein ins Leben zu rufen. Einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen gibt es allerdings nicht. Der Verein hielt sich fern von den oft kleinlichen
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