Dokumentation zum Tag der Hessischen Landesgeschichte am 19. September 2009 in Kassel
175 Jahre 1834−2009  Verein für hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e.V

 

Anders als in Bayern, Sachsen und Württemberg, wo die Gründung eines historischen Vereins jeweils vom Hof und von der Aristokratie ausging, lag die Initiative in Kassel bei Angehörigen des Bürgertums. Und noch etwas fällt auf: Es waren nicht Laien, die das Projekt ins Leben riefen und maßgeblich trugen, sondern ausgewiesene Geschichtsforscher: Rommel, Bernhardi und Schubart waren Bibliothekare, verkörperten insofern das professionelle Element in der Leitung des Vereins, einzig Landau, der aus einfachen Verhältnissen kam, hatte keine akademische Ausbildung genossen, war allerdings ein rühriger Privatgelehrter, der Mitte der 30er Jahre eine bescheiden dotierte Anstellung im Haus- und Staatsarchiv erhielt und 1838 zum Archivsekretär ernannt wurde. Ein Blick auf die Mitglieder des Vereins lehrt, dass der Adel nur schwach vertreten war. In einer Liste vom 10. Juni 1835 finden sich 78 Männer: sechs von ihnen sind adliger Herkunft, darunter Freiherr von Boyneburg-Lengsfeld und Freiherr Riedesel zu Eisenbach, seines Zeichens Erbmarschall zu Kassel. Die große Mehrheit aber rekrutierte sich aus den Schichten des gehobenen, akademisch gebildeten Bürgertums: höhere Beamte, Juristen, Mediziner, Lehrer, Pastoren und Kirchenfunktionäre wie der Landesbischof von Fulda, Professoren, Baumeister, ansonsten aber weder Handwerker, noch Bauern, noch Fabrikanten. Präsent war das Bildungs- nicht aber das Wirtschaftsbürgertum.
IV.
In den Statuten, die die Gründungsversammlung am 29. Dezember 1834 beschlossen hatte, hieß es, der Verein bezwecke die „allseitige Erforschung und Darstellung der Geschichte, Topographie und Statistik von Hessen.“ Nichts Geringeres als eine „umfassende Geschichte des Landes und seiner Bewohner“ hatte man vor Augen. Behandelt werden sollten die folgenden Gegenstände: die „natürliche Beschaffenheit des Landes und seiner Erzeugnisse“, der „Ursprung und die Stammesverhältnisse der Bewohner“, die Sprache, so wie sie Ausdruck findet in Mundarten, Sagen und Liedern, die „Geschichte des Volkes, der Fürsten, Geschlechter und Ortschaften“, die „alte Gau- und spätere Gerichtsverfassung“, das „Kirchenwesen“ und die „Güterverhältnisse“, die „städtischen Freiheiten“, Zunftwesen und Genossenschaften, „die Gewerbe und bäuerlichen Verhältnisse“, die „Rechtsaltertümer, Gebräuche, Festlichkeiten“, die „Fortschritte und Leistungen der Wissenschaften und Künste“, die „Beschreibung von Altertümern aller Art“.
Ein wahrhaft umfassendes Programm. Wir würden solches Tun heute vermutlich einen Versuch zur totalen Geschichte, zur ‚histoire totale‘ nennen. Hier war ersichtlich mehr und anderes geplant als eine bloße Fürstenhistorie, womöglich verengt auf einen Lobpreis der Dynastie und ihrer Repräsentanten. Hier brachte sich vielmehr ein umfassendes sozial-, wirtschafts- und kulturhistorisches Interesse zum Ausdruck, noch nicht disziplinär oder subdisziplinär ausdifferenziert, jedenfalls anders als wir heute unser in zahlreiche Departements und Spezialabteilungen aufgespaltenes Fach betreiben. Kurzum: Man versprach, „ein möglichst richtiges und vollständiges Bild von dem Zustande des Vaterlandes in den verschiedenen Zeiten zu entwerfen, und die allmählichen Übergänge aus einem Zustande in den andern nach ihren Ursachen und Wirkungen zu entwickeln.“ Die Geschichte, so beschrieb Bernhardi in seinem Eröffnungsvortrag die selbst gewählte Aufgabe, „umfasst alle Zweige des menschlichen Treibens

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