Dokumentation zum Tag der Hessischen Landesgeschichte am 19. September 2009 in Kassel
175 Jahre 1834−2009 Verein für hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e.V.
historischen Wissens“ sah man ein geeignetes Mittel, den historischen Sinn zu schärfen, „den Geschmack für vaterländische Ge-schichte zu wecken und zu beleben“, zugleich die Mitglieder des Vereins zu ermuntern, eigene Arbeiten mit „Lust und Eifer“ zu betreiben. Überhaupt setzte man große Erwartungen in deren Mitarbeit: Berufen sei dazu jeder in seinem jeweils eigenen Lebenskreis, von wo aus er zu einer Geschichte sagen wir: des Bergbaus, der Landwirtschaft, der Gewerbe, Innungen und Zünfte, der Handelsströme und Verkehrswege vordringen könne. Propagiert wird die gemeinsame Arbeit von Geschichtsforschern und Sachverständigen. Einerseits wird die Generalzuständigkeit der Historie für alles Vergangene reklamiert, andererseits aber unbefangen zurückgegriffen auf die Expertise der Nichthistoriker, der Laien mit speziellen Kenntnissen und Kompetenzen in speziellen Feldern.
In der Ferne – ich wiederhole es – ist stets die National- und Reichsgeschichte präsent, und sie wird im Laufe der Jahrzehnte immer präsenter, aber im Zentrum der Vereinsarbeit steht doch die Geschichte des engeren ,Vaterlandes‘, die Sicherung der Urkunden und Realien, woraus nicht zuletzt frühe denkmalpflegerische Aktivitäten erwachsen. Diese Orientierung gilt unbeschadet der Tatsache, dass die Vereine, auch der kurhessische, sich alsbald vernetzen, Kontakte knüpfen und pflegen, Abhandlungen und Zeitschriften tauschen, Auswärtige als korrespondierende Mitglieder aufnehmen, ja um sie werben, auch an den Bemühungen sich beteiligen zur Gründung eines überregionalen Dachverbandes deutscher Geschichtsvereine, der allerdings erst um die Mitte des Jahrhunderts konkrete Formen annimmt.
Der Beitrag zur Erkenntnis des Gewordenen ist zugleich ein Beitrag zur Legitimierung des gegenwärtig Bestehenden. Das mochte für den Herausgeber der liberalen „Kasseler Blätter für Geist und Herz, Staats- und Volksleben“ der Anlass gewesen sein, die Gründung des Vereins mit einigen kritischen oder doch fragenden Anmerkungen zu bedenken. Gewiss, das Unternehmen sei lobenswert, insoweit es sich der Aufgabe widme, das „Fundament zu untersuchen, auf welchem wir, die Lebenden, fortbauen können.“ Notwendig seien Forschungen, aus denen Nutzanwendung für die Gegenwart gezogen werden könnten. Schließlich sei die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass die Anhäufung von Überresten aus der Vergangenheit die aktuellen Bedürfnisse und Interessen überlagern, verschütten könnte, namentlich den „ehrwürdigen Tempel“, der in Gestalt der Verfassung von 1831 unlängst erst errichtet worden sei. Hier klingt an, was Friedrich Nietzsche Jahrzehnte später als Kritik am Historismus und einer primär antiquarisch gerichteten Geschichtsschreibung ausrufen sollte. Schon in der Gründungsphase des kurhessischen Vereins gerät, wie man sieht, ein Problem auf die Agenda, das damals die Gemüter bewegt hat und heute immer noch die Gemüter bewegt: das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Daran haben sich vergangene Generationen abgearbeitet, und daran werden sich auch noch die künftigen Generationen abarbeiten. Damit verbindet sich die Frage, ob und inwieweit es gelungen ist, durch die Aktivitäten des Vereins so etwas wie kurhessische Identität auszubilden und wenn ja, wie diese dann 1866/71 überführt werden konnte in preußische und reichsdeutsche Zugehörigkeit. Aber das wäre ein Kapitel, das aufzuschlagen ich Ihnen mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit erspare. Ich
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