56 Aus Stadt und Land
Im Rahmen einer Festveranstaltung beging
das Staatsarchiv Marburg am 2. Dezember
2013 die 75. Wiederkehr der Eröffnung des
seinerzeit stark beachteten Neubaus am Marburger
Friedrichsplatz. Den Teilnehmern in
dem bis auf den letzten Platz gefüllten Landgrafensaal
des Staatsarchivs bot sich ein abwechslungsreiches,
musikalisch umrahmtes,
von prominenten Grußwortrednern eingeleitetes
Programm, in dem zwei Vorträge im
Zentrum standen. So ordnete die ehemals
Marburger, heute Dresdener Kunsthistorikerin
Katja Leiskau das Gebäude von seinem
architektonischen Konzept her in die Reihe
der deutschen Archivfunktionsbauten in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein. Andreas
Hedwig, der Leiter des Staatsarchivs,
nahm das Jubiläum zum Anlass für einen bebilderten
Vortrag unter dem Titel „Das Marburger
Archivgebäude und seine Funktionen
1938 bis heute“.
Die Geschichte des Staatsarchivs in Marburg
hebt jedoch nicht im Jahr 1938, sondern
bereits im Jahr 1870 an, denn seine Gründung
war Folge der preußischen Annexion
Kurhessens nach dem Sieg über Österreich im
Jahr 1866. Das damals im Marburger Schloss
errichtete neue preußische Provinzialarchiv
nahm zunächst die ehemals kurhessischen
Archive aus Kassel, Fulda, Hanau und Bückeburg
auf. Trotz des vergleichsweise geringen
Umfangs der Archivbestände von
ca. drei Regalkilometern war dies ein großer
Schritt, denn schon „wenig später galt das
Marburger Archiv als das wichtigste und bedeutendste
in Preußen nächst dem Geheimen
Staatsarchiv in Berlin.“ (F. Wolff, Das Hess.
Staatsarchiv in Marburg, Hess. Jb. 1977, S.
135.) In den ersten zwanzig Jahren seines
Bestehens erlebte das Archiv eine stürmische
Entwicklung, in Bezug auf die Ordnung und
Erschließung der Bestände wie auch in einer
der historischen Wissenschaft gegenüber
offensiven Vermittlungsarbeit und einer für
diese Zeit vergleichsweise modernen Öffentlichkeitsarbeit.
Bis in die späten 1920er Jahre
folgte aufgrund persönlicher Zerwürfnisse,
des Ersten Weltkriegs, der Inflationszeit und
nicht zuletzt wegen mangelnder Raumkapazitäten
eine ruhigere Phase.
Erst die 1929 einsetzende Amtszeit von Archivdirektor
Carl Knetsch brachte in Bezug
auf die immer drückenderen Raumprobleme
die Wende. Er bemühte sich intensiv und am
Ende erfolgreich um einen Neubau, der am
22.10.1938 feierlich eröffnet wurde. Den politischen
Rahmenbedingungen entsprechend
nutzten einschlägige Vertreter der NSDAP –
darunter der Kasseler Oberpräsident Prinz
Philipp von Hessen und der kurhessische
Gauleiter Karl Weinrich – den Festakt vor
300 Gästen als Bühne, um die Kulturleistungen
des Nationalsozialismus zu propagieren.
Das Marburger „Prunkarchiv“ demonstrierte
machtvoll den Anspruch des NS-Staats auf
das hier gehütete kulturelle Erbe: im Vestibül
in Form eines den gesamten Raum beherrschenden
Hakenkreuzes im Oberlicht, umrahmt
von einem antiken Vorlagen folgenden
Hakenkreuzmäander – und natürlich der
unvermeidlichen Hitlerbüste. Abgesehen von
derartigen politisch motivierten Applikationen
überzeugte der neue Funktionsbau aber
die Fachwelt vor allem durch sein architektonisches
Konzept. Die neuen Möglichkeiten,
die sich nun für die archivische Arbeit boten,
erlaubten es, die Ordnungs- und Erschließungsarbeiten
viel systematischer als bisher
75 Jahre Hessisches Staatsarchiv am Marburger Friedrichsplatz
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