Aus Stadt und Land 57
zu planen und voranzutreiben. So konnte
erstmals eine Übersicht über die Gesamtbestände
vorgelegt werden. Endlich wurden
auch lange geplante Übernahmen in Angriff
genommen, so dass allein bis Sommer 1939
mehrere km archivwürdige Akten aus den
kurhessischen Zentralbehörden in das neue
Staatsarchiv Marburg gelangten. Parallel legte
das Archiv großen Wert darauf, in der Wissenschaft
wie der interessierten Öffentlichkeit
durch Quellenpublikationen, Ausstellungen
und Presseberichte präsent zu sein.
Der Beginn des Zweiten Weltkriegs veränderte
alles. Wegen seiner erheblichen noch
ungenutzten Magazinkapazitäten spielte das
Marburger Staatsarchiv auch über den kurhessischen
Raum hinaus eine wichtige Rolle.
So wurden hier kriegsbedingt gefährdete
Archive eingelagert: die Stadtarchive Neunkirchen
und Saarbrücken, später Teile des
Staatsarchivs Bremen und die Handschriftenabteilung
der Landesbibliothek Kassel.
Die Marburger Archivare konzentrierten ihre
Kräfte auf die Sicherung wertvollen Archivguts
und forcierten die Aktenübernahmen,
zumal aus den Kasseler Oberbehörden. Vieles
konnte so vor dem verheerenden Bombenangriff
vom 18. Oktober 1943 auf Kassel
gerettet werden. Besonders wertvolle Archivbestände
sicherte man in zahlreichen Außendepots.
Glücklicher Weise blieb das Archivgebäude
weitgehend vom Bombenkrieg
verschont. In den letzten Kriegstagen, am
12. März 1945, trafen es einige Spreng- und
Brandbomben, die aber nur geringen Schaden
anrichteten.
Nach Kriegsende kümmerten sich die wenigen
verbliebenen Archivare sofort und intensiv
um die Rückholung der bis nach Thüringen
ausgelagerten Bestände. Es gelang ihnen
trotz schwierigster Bedingungen, sie bereits
Anfang 1947 quasi ohne Verluste wieder in
den Magazinen aufzustellen und für die Benutzung
freizugeben. Gleichzeitig standen
sie vor neuen – nachkriegsbedingten – Herausforderungen:
Zunächst weckte das Gebäude
die Aufmerksamkeit der Amerikaner,
die hier im Sommer 1945 einen Collecting
Point für herrenloses oder geraubtes Kunstund
Kulturgut einrichteten. Dieser wurde jedoch
bereits im August 1946 zugunsten der
zentralen hessischen Sammelstelle im Museum
Wiesbaden wieder aufgelöst. Hintergrund
war die Umsetzung eines anderen Projekts:
Die während des Krieges nach Westdeutschland
ausgelagerten Bestände der Preußischen
Staatsbibliothek sollten als „Staatsbibliothek
im Exil“ zugänglich gemacht werden. Als geeignete
Liegenschaft griff man auf die Marburger
Universitätsbibliothek in der Marburger
Universitätsstraße zurück, die ihrerseits
in das Staatsarchiv Marburg ausweichen
musste. Im Gebäude des Staatsarchivs beanspruchte
die Universitätsbibliothek nun die
Hälfte aller Räume, was für den Archivbetrieb
erhebliche Einschränkungen bedeutete.
Die Nutzerinnen und Nutzer hingegen profitierten
von den auch damals schon attraktiven
Bibliotheksöffnungszeiten. Erst zwanzig
Jahre später, 1967 zog die Universitätsbibliothek
in den seinerzeitigen Neubau an der
Wilhelm-Röpke-Straße.
Unter diesen Bedingungen gelang es nur
in kleinen Schritten, den Personalbestand
bis Ende der 1960er Jahre mit acht wissenschaftlichen
Archivaren und zwei Archivaren
des gehobenen Dienstes wieder in etwa
auf Vorkriegsniveau zu bringen. Dennoch
folgte schon in den unmittelbaren Nachkriegsjahren
eine positive Entwicklung:
Wichtige Übernahmen und Erschließungsarbeiten
wurden in Angriff genommen, die
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